Guten Abend, verehrtes Publikum,
hier auf diesen schönen Seiten war die Stelle der Kolumnistin noch frei und irgendwie kamen die Damen auf mich. Vermutlich liegt es daran, dass auch diese mich aus Momenten des Wasserreichens, Weinnachschenkens oder des Tellereinsetzens kennen oder weil ich manchmal plötzlich abendfüllend Gastronomie-Geschichten erzählen kann.
Ich kenne die Gastronomie, weil sie seit Abiturzeiten mein Handwerk und meine Liebe ist
Weil sie meine Bühne war, mich harte Lektionen über das Leben und den Menschen als Gast lehrte, weil sie mich unterhalten und gebildet, beflügelt und erschöpft und meinen Freundeskreis um herrliche Menschen erweitert hat. Wenn ich unter Kollegen bin, dann dauert es drei Minuten, bevor eine Geschichte die nächste jagt.
Für Uneingeweihte klingen wir, als wären wir gemeinsam im Krieg gewesen:
Weisst du noch, und damit fängt es immer an, den Abend, als wir T-a-u-s-e-n-d-e von Gästen hatten und dann ist erstmal kurz ehrfurchtsvolle Stille vor dem eigenen Überleben des Unvorstellbaren, bis wir Gastropoeten in unserer vollendet veredelten Sprache loslegen und uns übertrumpfen, und dann geht es um 450 pax (#GrillRoyal), die wir geschickt haben oder auch nur um 180, aber eben im #uma und spätestens in den Erinnerungen vom #borchardt sind wir uns sicher, dass wir jeden, Abend. knietief. in. der. Scheisse. waren. Und mittags erst.
Und dann rollen die Momente aufs Band:
Weißt du noch, als Luciano (#LocandaPane) immer Tracy Chapmans: Now you better run run run run run run ruhuhun auf volle Lautstärke gedreht hat, wenn du zu lange am Tisch standest? Weisst du noch, wie wir zu zweit im Innenhof (#TaschenbergpalaisDresden) eingeteilt waren und die Oberkellnerin immer mehr Tische rausstellte, bis ich heulend zusammenbrach und du mich auch noch suchen und zurückschleifen musstest?
Weißt du (#StefanHartmann) noch, wie ich dich in deinem letzten Sommer in Berlin zwang, Wildschweindöner zu machen und dich an deinem letzten deutschen Gänseessen auf der #Soehnelwerft Kopf hoch und Arsch in´n Sattel anschnauzte, als du vom Rauchen nicht mehr zurück in die Küche wolltest? Weißt du noch, wie wir morgens um fünf Uhr (#Spinnerbrücke) Schweinekrustenbraten probieren sollten und du Schweinekrustenbratenvegetarier den nächsten Eimer suchtest?
Weißt du noch, wie der Azubi (#Adlon) sich mitten im Frühstückschaos an der Aufschnittmaschine den halben Finger abtrennte und danach die Wände neu geweißt werden mussten?
Weißt du noch, als wir (#SraBua) keine Köche mehr an Silvester hatten? Weißt du noch, welche Traube im St.Laurent ist, Sabines Jalapenotanz, die Stunden beim Besteckpolieren, die heruntergefallenen Gläser?
Die Gäste, die dich anschreien oder gleich heiraten wollten oder die, deren Haare du über ihrem Kopf gehalten hast, während sie sich Diversem entledigten?
Weißt du noch, als die Mädels das #Florian verkauften und der inzwischen insolvente neue Besitzer die Gäste vergraulte? Ist dir sein: Du bist doch viel zu hässlich für sie, das er dem männlichen Part einer recht frischen Beziehung paartherapeutisch entgegenwarf, auch noch so im Ohr? Weißt du noch, wie die Teller vom Pass rutschten, weil der Küchenchef einfach weiter schob, wenn du nicht schnell genug warst; wie die Pfannen in der Küche flogen, von den diversen, verbalen Ausdrucksformen grenzenlosen Hasses ganz zu schweigen?
Weißt du noch die 28 Frühstücksstandards im #FourSeasons und die langen Schlangen im Superluxushotel, weil der Generaldirektor jahrelang der Meinung war, er müsse den Gästen aus 204 Zimmern auf 64 Sitzplaetzen á – la – carte – Frühstück anbieten?
Weißt du noch, wie lange ein frisch gepresster Tomatensaft dauert, wie der nach zehn Sekunden aussieht und wie die Gäste ihn angeguckt haben?
Weißt du noch, diese Rohrpost im #BellevuePalaceHotelBern, in der die Bons jeden Mittag stecken blieben und weißt du den Mittag noch, an dem aus jedem Broccoli eine Heuschrecke herauskam und der australische Koch Heimatgefühle hatte? Und weißt du noch, wie du deinem ersten Schweizer Gast, der eine Stange bei dir bestellte, hochmütig geantwortet hast, es handele sich bei deiner Frage um die nach einem Getränkewunsch?
Weißt du noch, wie ihr auf dem ersten Catering für die Nordrheinwestfälische Landesregierung die Papierservietten vergessen habt und dein Chef vermutlich immer noch tobt? Weil es auch nicht zu seiner Laune beitrug, als du für 450 Gäste den damals hochmodernen Cappuccino machen musstest an einer Siebträgermaschine mit einem! Milchaufschäumerchen von vlt 5 cm Länge?
Und weisst du noch, wie es ist, nach 14 Stunden das erste Mal wieder atmen zu können?
Und das Adrenalin pumpt und du könntest die Köche immer noch verfluchen und fragst dich, wieso sie überhaupt einen Teil deines Trinkgeldes haben wollen, die Heiopeis? Und dann kommt einer von denen raus und macht dir eine Zigarette an und hat dir ein Bier mitgebracht und schon bist du versöhnt.
Diese Trinkgeldverteilnummer, ne?, um mal aus den Kriegsgeschichten langsam wieder rauszukommen, bevor hier einer heult vor Erinnerungen, die ist eine Geschichte für sich.
Vielleicht die fürs naechste Mal.