Drei Berliner waren hungrig und wollten mehr! Und zwar erfahren: zu Geschichten hinter den Tellern, Orten, Ideen, Perspektiven und Momenten. Entstanden ist eine
persönliche Momentaufnahme einer leidenschaftlichen gastronomischen Szene unserer Hauptstadt.
Die Gastronomie in Berlin ist in den letzten Jahren zu einem großen internationalen Anziehungsfaktor der Stadt geworden. Unlängst wurden ausgezeichnete Berliner Gastgeber, wie zum Beispiel Marie Anne Wild, Tim Raue, Ilona Scholl, Max Strohe und René Frank für ihr kulinarisches Engagement im Roten Rathaus empfangen und geehrt. Viele von ihnen sind auch Teil des Buchprojekte von Melanie Greim, Robert Schlesinger und Hinnerk Clausen.
Die drei Berliner sind mehr als zweieinhalb Jahre durch die gastronomische Szene Berlins gezogen und haben die verschiedenen Gastgeber-Charaktere porträtiert. Das Ergebnis dieser „Reise“: ein 416 Seiten dickes Buch, das die Menschen, ihre Visionen und Geschichten zeigt, portraitiert und nahbar macht.
Der wertschätzende Gedanke, die Momentaufnahme der kulinarischen Szene ist bereits auf Anklang gestoßen, so unter anderem beim Falstaff Magazin, das schreibt: „Faces of Gastronomy – am kulinarischen Puls Berlins“.
Wir haben mit dem Autor des Buches, Hinnerk Clausen gesprochen: ein Food Fellas Interview über die Faces of Gastronomy!
Food Fellas: Zu Beginn die Frage: Wie seid Ihr darauf gekommen, wie war die Reise, das Buch „Faces of Gastronomy“ in dieser Form zu machen?
Hinnerk Clausen: Inspiriert hat uns die Stadt Berlin selbst. Oder genauer gesagt die Charaktere, die Berlin jeden Tag aufs Neue kulinarisch prägen und dadurch so vielfältig und wunderbar machen.
Die ursprüngliche Idee zum Konzept stammt von mir (Hinnerk). Ich kam vor etwa sieben Jahren nach Berlin. Zwar kannte ich die Stadt bereits von Besuchen – oder zumindest glaubte ich das -, doch war ich anfangs schon ein wenig überfordert: Viele neue Eindrücke, die vielen unterschiedlichen Kieze und Nischen, die diese Stadt zu bieten hat.
Mein roter Faden und gewissermaßen mein Wegweiser durch Berlin waren dabei stets die vielen wunderbaren Restaurants, Cafés, Imbisse oder wie auch immer man diese bezeichnen soll. Ich habe Berlin kennen gelernt, indem ich all diese Orte sukzessive abgegrast habe. Das macht nach wie vor einen extrem wichtigen Faktor dieser Stadt für mich aus.
Dann kam irgendwann die Frage auf: Wer sind eigentlich die Menschen hinter all diesen Orten? Als ich angefangen habe, nach Antworten zu suchen, konnte ich diese nur bedingt finden. Es gibt auch heute noch jede Menge tolle Formate über die Szene in Berlin – zuvorderst natürlich unter anderem Berlin Food Stories. Aber der Fokus ist ja gerade ein anderer: Das Essen – weniger der Mensch. Diese Erkenntnis kam in etwa zur selben Zeit auf als Formate wie „Chefs Table“ ihren absoluten Peak hatten.
Das habe ich natürlich alles geschaut. Es hat mir auch Spaß gemacht, das zu schauen. Nur irgendwie fand ich es ab einem gewissen Punkt trivial und auch zu sehr Netflix-kommerzialisiert. Warum also nicht selbst etwas Ähnliches produzieren? Durch Menschen aus Berlin für Menschen in Berlin oder solche, denen diese Stadt (kulinarisch) am Herzen liegt. Ich wollte den Menschen, die „mein“ Berlin ausmachen, die Wertschätzung zuteil werden lassen, die sie in meinen Augen verdienen.
Das war gewissermaßen die Geburtsstunde der Idee. Wir befinden uns gerade im November 2019. Die Geburtsstunde von „Faces of Gastronomy“ war wenig später als ich über Bekannte Melanie und Robert traf. Die beiden waren direkt Feuer und Flamme als sie von der Idee hörten.
Dann haben wir intensiv die Köpfe zusammengesteckt und aus dieser einen Idee, dem Rohdiamanten, ist unser gemeinsames Projekt „Faces of Gastronomy“ geworden, das nun seine Verkörperung in unserem Buch findet. Da steckt ganz viel Melanie, Robert und Hinnerk drin.
Food Fellas: Warum auf Englisch bzw. warum nicht auch auf Deutsch?
Hinnerk Clausen:
Das Schöne an den Bildern von Melanie und Robert: Sie sind nicht auf so etwas wie Sprache angewiesen. Man betrachtet sie, sie wirken und berühren einen. Das Bild ist die Sprache.
Das ist bei Texten natürlich anders. Die Texte habe ich zunächst alle auf Deutsch verfasst und es war ursprünglich geplant, dass wir eine deutsche und auch eine englische Ausgabe herausbringen. Wir haben unser Buch recht bewusst im Selbstverlag herausgebracht.
Am Ende war es eine kommerzielle Entscheidung. Ich würde nicht sagen, dass wir den finanziellen Aufwand des Projekts unterschätzt haben, doch sahen wir uns ab einem gewissen Punkt mit dieser entweder/oder-Entscheidung konfrontiert.
Ich hatte dabei aber vor allem Bedenken, dass die „Seele“ meiner Texte durch die Übersetzung verloren geht – was aufgrund unserer herausragenden Übersetzerinnen nicht der Fall war! Letztendlich war es uns also wichtiger, dass wir unsere Gesamt-Message einem möglichst breiten Publikum zugänglich machen.
Nicht zuletzt aufgrund der Internationalität der Stadt Berlin, die sich auch in der Szene und deren Protagonist:innen widerspiegelt aber auch natürlich in dem Publikum, das diese Orte besucht.
Die deutsche Sprache, so gerne ich sie mag, limitiert da.
Food Fellas: Ihr habt bei dem Werk die Protagonist:innen der Berliner Gastroszene ins Visier genommen. Was zeichnet diese Szene und die Menschen darin besonders aus?
Hinnerk Clausen:
Ganz sicher die Vielfältigkeit und damit verbunden auch die Vielseitigkeit.
Max Strohe hat während unseres Interviews gesagt, dass es sich mit Restaurantbesuchen in etwa so verhält, wie mit Konzerten: Manche bevorzugen es unplugged, andere lieben Open Airs, manche das Opernhaus und manche die Wuhlheide.
Ich mag die Bandbreite dieses Zitats. Aber der Protagonist eines Konzerts ist der Musiker (natürlich die Musikerin eingeschlossen). Er interpretiert das Konzert und die Stimmung. Ähnlich verhält es sich mit Restaurants.
Das Restaurant ist doch eigentlich nur der Ort, der die persönliche Vision seiner Gastgeber:innen verkörpert. Die Bandbreite der Visionen in Berlin ist da enorm!
Wenn wir jetzt mal diese Vielfältigkeit der Charaktere ausblenden, dann ist es vor allem aber auch die Herzlichkeit.
Wir wurden überall mit offenen Armen empfangen und man hat gemerkt, dass unsere Interviewpartner:innen verstanden haben, dass es um sie persönlich geht und vor allem darum, ihnen gegenüber eine gewisse Form der verkörperten Wertschätzung auszudrücken.
Ich hatte teilweise das Gefühl, bei alten Freunden am Tisch zu sitzen. Es wurde gelacht, gekocht und teilweise gesoffen. Das waren unglaublich bereichernde Erfahrungen.
Trotz all der unterschiedlichen Charaktere hatte man aber auch stets das Gefühl, dass die Szene unterm Strich eine riesige Familie ist.
Ich glaube, dass die Corona-Pandemie dieses Wir-Gefühl vielleicht auch noch mal verstärkt hat „Hey, wir sitzen alle im selben Boot. Gemeinsam sind wir stark“. Da gab es kein Konkurrenzdenken, kein Neid, keine Missgunst. Man kennt sich, man schätzt sich!
Food Fellas: Gab es beim Portraitieren Überraschungen?
Auf jeden Fall! So manch eine scheinbar stille Person ist insbesondere vor der Kamera aus sich herausgekommen. Aber auch im Interviewprozess habe ich viele positive Überraschungen erlebt. Häufig war es ohnehin eh mehr ein Gespräch als ein Interview.
Auch so mancher harter Charakter hat sich dabei von seiner sanftmütigen und irgendwie auch verletzlichen Seite gezeigt. Das wiederum habe ich extrem wertgeschätzt – insbesondere das damit verbundene Vertrauen. Never judge a book by its cover – wir haben uns bei unserem trotzdem extrem viel Mühe gegeben (smiley).
Food Fellas: Die Fotos und Texte sind sehr persönlich und geben einen anderen Blick als das gewohnte Kochbuch oder Köcheportrait. Wie seid Ihr an die Protagonist:innen herangetreten, wie habt Ihr sie begleitet?
Hinnerk Clausen: Auch wenn das wenig mit der Frage zu tun hat, war dieser persönliche Einschlag der Texte besonders wichtig für mich und uns. Meine Interviewpartner haben sich mir gegenüber geöffnet, also habe ich es auch ein stückweit getan. Ich habe viel meinen eigenen Senf dazu gegeben, teilweise auch gewertet und manchmal auch provoziert.
Aber das schafft doch letztendlich irgendwie die gewünschte Nähe, die uns bei diesem Projekt immer vorschwebte und die nicht zuletzt auch durch die Bilder unterstrichen wird. Durch Melanies Bilder soll ich das Gefühl bekommen, im Gastraum am Tisch zu sitzen.
Durch Roberts Bilder sollen die Charaktereigenschaften, die Wesenszüge unserer Protagonist:innen abgebildet werden. Was auf den ersten Blick vielleicht an der ein oder anderen Stelle wie Werbe-Hochglanz-Ästhetik aussehen mag, ist dabei aber meines Erachtens immer im Gesamtkontext zu betrachten.
All das ist ein Gesamtwerk, keines der Elemente kann getrennt betrachtet werden, erst im Zusammenspiel ergibt sich „das“ Bild – das Bild unserer „Faces“.
Das haben unsere „Faces“ glaube ich recht schnell gemerkt. Am Anfang waren wir da eher in der Bringschuld. Aber man spricht natürlich in der Szene miteinander. „Wo wollt ihr denn noch so hin?“ „Ah cool, warte, den oder die rufe ich doch mal direkt an. Sind bestimmt dabei!“.
Letztendlich möchten wir uns an dieser Stelle noch mal für das Vertrauen bedanken, das uns entgegengebracht wurde. Wir haben glaube ich niemanden enttäuscht.
Food Fellas: Auf welche Weise hat das Buchprojekt Eure persönliche Perspektive beim Essengehen oder beim Gastgeben geändert?
Wir haben und wollten diesen Läden ein Gesicht geben. Dort sind wir, dort seid ihr zu Gast.
Diese Menschen haben es zu ihrem Beruf gemacht, getrieben von ihrer Leidenschaft, uns für einen kurzen oder langen Moment an ihrer persönlichen Interpretation von Gastlichkeit teilhaben zu lassen.
Ein Restaurant ist weitaus mehr als das Essen auf den Tellern. Es ist ein Gesamtwerk, das mit genau den Augen betrachtet werden sollte. Aber auch mit dem Respekt den Menschen gegenüber, die dort teilweise aufopfernd arbeiten.
Food Fellas: Vielen Dank! Faces of Gastronomy ist ein wirklich großartiges Buch mit persönlichen Portraits und intensiven Food- und Restaurant-Fotos, die uns berührt haben und in uns nachhallen.
- Autor: Hinnerk Clausen
- Fotos: Melanie Greim, Robert Schlesinger
- Hochwertiges Hardcover aus Leinen
- 416 Seiten
- erschienen Im Oktober 2022 im Eigenverlag