… das auf der Internorga anfängt und erst zuhause endet…
Manchmal vergesse ich das bei all der bunten, schlauen Vielfalt, die ich so erleben darf an Menschen in der Gastronomie und an Läden, die mir das Herz aufreißen – in welchem Zustand meine Branche ist. Damit ich dankbar und demütig bleibe, schickt mich das Leben dann einen halben Tag auf die ITB und zwei Tage auf die Internorga:
Ich war da. Und werde Euch ALLES erzählen, eines Tages. Aber heute … heute ein Prost!Post:
Auf die junge Generation der Köche!
Unter ihnen: Ein Geografiestudent aus Hamburg. 26, ein schlauer junger Mann mit wilden Locken ums und einem entwaffnenden Lächeln im Gesicht, bei dem die Augen blitzen und genau wissen, was sie wollen und die seinen Ehrgeiz, seinen Hunger, seine Lust auf die Welt so in jedem Augenbling haben, dass man sich dem Funkeln der Ecken und Kanten nicht entziehen mag. Der die Gastronomie verlassen hat, weil sie ihm verlogen und bigott erschien, und der, Gott sei Dank, in seinem jungen Leben immer wieder Menschen begegnet ist, die seine Sprache verstehen, seinen Ansatz teilen, ihn bereichern und sein Feuer zünden; bis er eines Tages sagte:
„Ich komm zurück. Ich mach es anders. Die Freunde und ich machen einen Laden auf und zeigen der Welt, dass es anders geht. Dass es fantastisch schmecken wird und gut gemacht sein, aber auf den 87. Gemüsechip verzichtet, der unter Umständen der Verführung in die Selbstdarstellung dient, aber nicht dem Gericht und der Gast lieber dann mal langsam etwas isst, als Verständnis für 27 Pinzettenhandgriffe zu haben, die eine halbe Stunde Wartezeit vor jedem Gang voraussetzen.“
Und dafür brauchen wir einen Pacojet. Nicht nur. Aber den so gern.
Und weil auf der Internorga ein Wettbewerb für junge Köche läuft, bei dem der zweite Platz das begehrte Küchengerät ist, meldet er sich an. Das hehre Ziel: Der zweite Platz. Dass er letztes Jahr Weltmeister der Jungköche in Lyon geworden ist, schreibt er sich nicht auf seine Fahnen, das macht er eh selbst kaum, das malen ihm andere immer wieder ins Gesicht, und das ist auch richtig so, denn der Mensch braucht Orientierung, in dem Fall: Guter Koch.
Der das Etikett gar nicht will, sondern in Ruhe antreten und zum Schluss nicht nachtreten, wie es die Welt heute tut: Haha, Weltmeister und dann noch nicht mal ein Gericht von Johann Lafer nachkochen können. Schaumschläger. Oder eigentlich: Wichser! Wie wir Gastronomen sagen.
Vor uns sitzen Männer in der Jury und zwar ausschließlich: Marco Müller, Johannes King, Christoph Rüffer, Rupert Kien – 7 Sterne insgesamt und eine Dame aus dem Publikum, die nicht Frau Schmittke sein darf, denn es hieß: Keine Verwandten, keine Freunde und keine Fans, das wird also nichts, und #MarcoMüller #Rutz hat auch schon zweimal Hallo gesagt und würde das Spiel durchschauen. Schade. Es ging doch um den #Pacojet.
So also tritt der Geografiestudent an. Am ersten Tag gibt es einen Warenkorb mit Scholle, Blumenkohl, Curry, Panko und Roter Bete. Frau Schmittke ist beim ersten Kochen nicht zugegen und wird hinterher fragen: „Was hast Du draus gemacht?“, und der Geografiestudent wird antworten: „Scholle, Rote Bete, Curry und Blumenkohl“, aber es wird eine halbe hochgezogene Augenbraue ihrerseits reichen, damit er umgehend präzisiert: „Gebratene Scholle, gebratener Blumenkohl, Blumenkohlpüree, gewürfelter Blumenkohl, süss sauer eingelegte rote Bete und Curryhollandaise“.
Es ist der fast 30. Wettbewerb für den jungen Mann, er schreibt seinen Freunden später: „Hab´alles gegeben, hat nicht gereicht“; da sind allerdings die Gewinnerfotos der ersten Challenge schon im Netz, und die Locken sprengen auch hier fast jedes Format.
„Gut“, denken sich die Freunde und sammeln sich am Internorgamontag zum Finale.
Nachgekocht werden muss. Ein Gericht von Johann Lafer. Mit seinem Fond, seinem Pürierstab, seiner Petersilie, seinen Gewürzen, ach nee, das war der Schuhbeck. Egal.
Das Finale des Kochwettbewerbs steht an.
Sechs junge Köche unter 26, zwei schon in stellvertretenden Führungspositionen in ihrem jeweiligen Restaurant. Der Teller kommt, der Spaß beginnt.
Und Frau Schmittke und Frau Ganzer plaudern am Pass mit dem jungen Mann – Marianus von Hörsten – ein Gespräch, das erst zuhause endet.
Frau Schmittke: Marianus, Du hast schon an so vielen Wettbewerben teilgenommen, wie findest Du dieses Format?
Marianus von Hörsten: Der Wettbewerb ist sehr gut organisiert, hochkarätig gesponsort in den Warenwerten, und auch die Preise sind hoch dotiert. Die Idee des Warenkorbes auf der einen und des Nachkochens auf der anderen Seite finde ich gut; sie deckt alles ab: Kreativität und Präzision, Geschmack, Erfahrung. Phantasie, Abstraktionsvermögen. (Er konzentriert sich. Gleich wird er zu Frau Schmittke sagen: „Ich bin so in der Scheisse.“ Und sie wird wissen, was er meint und abends im Auto nach Hause weiterfragen):
Frau Schmittke: Frau Ganzer sprach, Du seist wettkampferfahren und das wäre ein Vorteil?
Marianus von Hörsten: Absolut. Das weiß ich auch. Ich habe gelernt, mit den Ablenkungen umzugehen, mich zurückzunehmen und zu sammeln, auch wenn das Schlendern in die Warenecke immer die Interpretation gelangweilter Arroganz bietet – das sind die kleinen Momente der Konzentration, des Prioritätensetzens, des Entscheidungentreffens und des kurz nochmal bei mir Ankommens.
Frau Schmittke und Frau Ganzer: Wir haben gesehen, Du warst der Einzige, der seinen Teller auf dem Pass mitten im Licht begutachtet hat, dort probiert, sich Notizen gemacht hat, Du warst als Einziger in Deiner Box in einer Niemandszeit für alle anderen, in der sie nicht recht wussten, was jetzt zu tun sei – was war das?
Marianus von Hörsten: Den Teller ins Licht zu stellen, das habe ich gelernt, das passiert automatisch. Die Handgriffe, die ich vorher erledige, sind simpler Natur, sparen aber hinterher Minuten an Zeit: Ich mach den Ofen an, ich puste die Handschuhe auf, ich knick den Spritzbeutel um, ich hole meine Basismaterialien raus und lege sie neben meine Messer, fülle Wasser in die Bain Marie.
Frau Ganzer: Dann kam der Teller. Taube, Kichererbsen, Cranberries, weisser Pfeffer. Hast Du alles erschmeckt respektive erkannt?
Marianus von Hörsten: Die Kichererbsen habe ich nicht erkannt, ich dachte, es könne Pastinake sein. Pastinake mit Leber – sowas irgendwie. Was der Drittplatzierte übrigens auch gekocht hat. Aber beim „Einkaufen“ gab es so viel Kichererbsen, die hatte ich wirklich gar nicht rausgeschmeckt, doch als ich die Lebensmittel gesehen habe, hat es mich erleuchtet.
Frau Schmittke: Ist was schief gelaufen?
Marianus von Hörsten: Tut es immer. Die Zeit dafür und auch das Material musst Du vorher mit einrechnen. Ich hab zweimal die Pastinakenchips im Öl vergessen. Bei meinem ersten Wettbewerb hätte ich sie verbrannt rausgegeben. Oder weggelassen. Gestern wusste ich: Machste nochmal. Und, ähm, nochmal. Dir muss auch klar sein, dass eine Stunde nicht reicht, um einen Fond anzusetzen, auch wenn es das tollere Kochen wäre, aber Du hast die Zeit im Nacken und das ist immer das Damoklesschwert. Also, nimmst Du den fertigen und schmeckst ihn ab. Vorher sollte man prüfen, ob er schon gesalzen ist. Wenn man das zwar weiss, aber vergisst, muss man mit viel Wasser, sehr viel Wasser und Portwein neu abschmecken, hat aber geklappt. (Verdreht die Augen über sich selbst)
Die Zeit umfasst aber eben auch 60 Minuten. Die habe ich. Nicht 50. Nicht 58. Die Zeit, in der sie von Zehn runterzählten, konnte ich zum fertigen Anrichten nutzen. Das ist auch immer einer meiner kleinen Tipps an den Wettbewerbsnachwuchs.
Frau Schmittke: Gibt es eigentlich auch Punkte für … sagen wir: Respekt vor dem Produkt?
Marianus von Hörsten: Auf internationaler Ebene und auf nationaler auf alle Fälle. In Lyon gab es 15 Prozent der Punktzahl auf den Müll, den die Prüfer aufgeschnitten und kontrolliert haben. Bedingung ist immer, alles zu verkochen. Sollten sie im Müll Fleisch finden, kannst Du direkt nach Hause fahren. Und da geht es nicht nur darum, dass das Regeln sind. Sondern dass das die Haltung beim Kochen sein muss. Insofern könnte das auch eine grössere Rolle in kleineren Wettbewerben spielen. Und gut finde ich, wenn die Reste, die Abschnitte, das Zuvielgekaufte zumindest bei der Tafel landen. Nicht im Müll. Keine Lebensmittel. Nicht 2018. Wir haben die Pflicht zur Aufmerksamkeit.
Frau Schmittke: Was ist denn eigentlich dieser Pacojet, von dem die Leute reden?
Marianus von Hörsten und Frau Ganzer im Chor: Hach. Ein Liebhaberstück. Luxus in der Küche. Effektiv, schön. Understatement im Außen und hilfreichste Überraschungen im Innern. Preisintensiver Kitchenhelper, der großen Spass macht und in den man sich immer wieder verliebt, wenn man ihm einmal begegnet ist.
Frau Schmittke: Das war der zweite Preis?
Marianus von Hörsten: Jawohl.
Frau Schmittke: Und der erste?
Marianus von Hörsten: Eine dreitägige Gourmetreise. Frankreich. Italien. Deutschland.
Frau Schmittke: Auch schön.
Marianus von Hörsten: Auf alle Fälle. Aber der Auftrag hieß: Pacojet. (Schmunzelt. Frau Ganzer verdreht nun ihrerseits die Augen.)
Franziska, die Redakteurin, wird langsam ungeduldig: Wie ist es denn ausgegangen?
Marianus von Hörsten kommt nicht zu Wort.
Ach, sagt nämlich Frau Schmittke, er kam nach dem Kochen kurz zu uns und meinte, es könne knapp werden mit dem ersten Platz. Dann war uns allen im Publikum vor lauter Ankündigerei schlecht, besonders Frau Ganzer bis endlich der zweite Platz aufgerufen wurde. Silvester Müller. Herzlichen Glückwunsch übrigens.
Franziska, die Redakteurin: Und nun?
Marianus von Hörsten: Nun sind alle traurig. Wir haben immer noch keinen Pacojet. Aber ich habe meinen Restauranteröffnungsmitstreitern versprochen, Postkarten zu schicken. Außerdem bekommen wir acht Seiten im Lafermagazin für unsere noch nie aufgeschriebenen Rezepte.
Franziska hat noch eine Frage: Und, wie feierst Du den heutigen Tag?
Marianus von Hörsten: Gar nicht. Wir fahren jetzt alle nach Hause (Hof Wörme) und treffen Menschen, die sich gern finanziell an unserem Restaurantprojekt beteiligen wollen, um ihnen den Plan vorzustellen.
Drückt Frau Schmittke herzlichst, knutscht Frau Ganzer auf die Wange, schnappt sich den güldenen Kochtopf, zieht sich die Kutte über und radelt durch Hamburgs strömenden Regen zum Copyshop. Dort wartet das Exposé aufs Abgeholtwerden.
Zuhause wird es Abendbrot geben. Forelle von der Forellenkönigin, Demeterschweinebauch und frisches Brot. Am Ende stehen 30 Prozent der Finanzierung, zwei leere Flaschen südafrikanischen Rotweins in der Küche und fahren still vergnügte baldige Gesellschafter vom Hof.
Der Weltmeister fällt ins Bett. Zwei Hausarbeiten stehen an. Zeit, in die Rolle des Geografiestudenten zu schlüpfen.
Nachti, nachti, Herr Lehmann, denken wir uns alle, wie immer, wenn wir in Wörme schlafen, Frau Ganzer ist froh, dass sie die Katzen gefüttert hat, Marianus ärgert sich nochmal kurz über die ein bisschen zu scharf angebratene Taube, und Frau Schmittke … schläft schon.
Marianus von Hörsten @ Team Tabula Rasa
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Aaron Hasenpusch, Frederica Ganzer, Marianus von Hörsten
Foto: ©Max Busch